Tacheles Forum: LSG NRW wollte PKH sparen! – BUrlG falsch angewendet

Im Tacheles-Forum nimmt Petra Gehartz Stellung zur Diskussion über die aktuelle April-Entscheidung (!?) des LSG NRW bezüglich der Frage, ob Aufstocker im Rahmen der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) nur drei Wochen Urlaub haben können.

Der Fall einer selbständigen Thailänderin, die wegen eines Todesfalls vier Wochen Urlaub haben wollte, was das Jobcenter ablehnte, wurde wohl angesichts einiger Kenntnislücken der LSG-Entscheidung im dortigen Forum offenbar bereits im Ansatz in die falsche Richtung diskutiert, so Petra Gehartz. Tatsächlich geht es im Ansatz wohl eher um die aktuell notwendige Diskussion zu haushaltspolitisch geforderten Einsparungen bei der Prozesskostenhilfe in NRW zu der die Politik in NRW aufgerufen hat.

Betreff: LSG NRW wollte PKH sparen! – BUrlG falsch angewendet

Text: Wenn ich das richtig sehe, hat sich das LSG NRW bei der Auslegung des BUrlG und Anwendung der Grundrechte (von Klägerin und Anwalt) ziemlich vertan:

„Unter Hinweis auf die nach § 3 des Bundesurlaubsgesetzes kalenderjährlich zustehende Mindesturlaubsdauer von 24 Tagen wird bei Arbeitnehmern eine pflichtige Erstreckung der Zustimmung auf dieses Zeitmaß befürwortet (Thie/Schoch in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 7 Rn 115).

Die Klägerin begehrt jedoch die Zustimmung zu einer Ortsabwesenheit von mehr als 24 Tagen.“, so das LSG in seiner Entscheidung vom 03.04.2013.

Vielleicht sollten sich alle, die sich für diesen Fall grundsätzlich interessieren, die Argumentation insgesamt noch mal ansehen. Das Gericht war wohl ziemlich angefressen, weil das Feststellungsinteresse aufgrund von Zeitablauf nicht so recht nachvollziehbar war. Es ging dem Prozeßvertreter in der Hauptsache um die Prozesskostenhilfebewilligung. Das sollte man bei der Beurteilung nicht vergessen. Dass eine Reise nach Thailand für drei Wochen nicht lohnt, wenn es um einen Sterbefall in der Familie geht, wollte das Gericht wohl erst gar nicht einsehen. Daher auch die schroffe Ablehnung, eine Anwendung der Härtefallregelung mit Verlängerung um drei Tage würde ihrem Anliegen wohl nicht gerecht!? Das ist eine ziemlich kindische Argumentation. Dann gibt es halt gar nichts, ätschi bätsch.

In diesem Sinne wurde auch das BUrlG ausgelegt. Dort sind 24 Werktage genannt. Das sind vier Wochen.

Für den beantragten Zeitraum, „Zustimmung zu einer Ortsabwesenheit vom 30.07.2012 bis einschließlich 27.08.2012 zwecks Teilnahme an Feierlichkeiten und wegen eines Sterbefalles“, hätte das sehr wohl geholfen. Vom 30.07. (Montag) bis 26.08 (Sonntag) sind das genau vier Wochen.

Diesen Anspruch hätte sie meiner Ansicht nach – im Rahmen der anzuwendenden BUrlG Regelung – bewilligt bekommen müssen. Möglicherweise scheiterte die Sache, weil die Gerichte Prozesskostenhilfe sparen sollen. Das wäre meines Erachtens hier der richtige Diskussionsansatz. Denn: Das LSG lehnt ja die Anwendung von § 3 BUrlG nicht ab.

„Unter Hinweis auf die nach § 3 des Bundesurlaubsgesetzes kalenderjährlich zustehende Mindesturlaubsdauer von 24 Tagen wird bei Arbeitnehmern eine pflichtige Erstreckung der Zustimmung auf dieses Zeitmaß befürwortet (Thie/Schoch in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 7 Rn 115).“

§ 3 BUrlG

(1) Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage. (2) Als Werktage gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind.

Das LSG meint nun, der Anspruch sei auch diesbezüglich überzogen: „Die Klägerin begehrt jedoch die Zustimmung zu einer Ortsabwesenheit von mehr als 24 Tagen.“ – Na ja, wenn man strenggenommen nur den beantragten Zeitraum nimmt, schon. Jedoch könnte sie auch am Sonntag losgeflogen sein. Und dann wäre der eine Tag mehr um den es dann nur noch geht, ziemlich egal. Aber das wollte man nicht wirklich klarstellen. Das wäre dann doch zu menschlich, zu sehr im Sinne des Grundrechts der Klägerin gewesen – mit Rücksicht auf ihre thailändische Herkunft wollte man ihr wohl einfach das mal so klar machen, dass sie nicht den vollen Respekt erhält, den man ihr verfassungsgemäß eigentlich zukommen lassen müsste. Na, und dem Rechtsanwalt, der Geld für seine Arbeit haben will, ja wohl auch nicht. Anwälte, die für Geld arbeiten – igitt.

viaTacheles Forum: LSG NRW wollte PKH sparen! – BUrlG falsch angewendet.

Siehe auch: § 7 Abs. 4a SGB II

  • Zustimmung zur Ortsabwesenheit auch ohne wichtigen Grund, wenn die Eingliederung nicht gefährdet ist.
  • Entscheidung „in der Regel“ für drei Wochen. Jede Regel hat eine Ausnahme.

Die ver.di-Sozialberatung klärt weiter auf: „Denn wer sich nach einem Tag Unerreichbarkeit  wieder zurückmeldet, war eben nur einen Tag nicht erreichbar und kann nur dafür abgestraft werden. Auf dieser Tatsache müssen Betroffenen gegenüber dem „Leistungsträger“ immer bestehen. Dann gibt es für diesen einen Tag kein Alg II, also eine Sanktion von 3,4 % der Gesamtleistung.“

Mir ist ebenso nicht so ganz klar, wieso das LSG NRW meint, dass § 7 Abs. 4a SGB II (vor dem 01.04.2012) anwendbar sein soll: „Nach der hier noch anwendbaren Ursprungsfassung von § 7 Abs. 4a SGB II (Fassung des Gesetzes vom 20.07.2006, BGBl I 1706 mit Wirkung vom 01.08.2006), die wegen des bislang unterbliebenen Erlasses der im Nachfolgerecht vorgesehenen Verordnung (§§ 7 Abs. 4a, 13 Abs. 3, 77 Abs. 1 SGB II i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl I 850) weiterhin gilt (???), wird der Zusammenhang zwischen Leistungsanspruch und Ortsanwesenheit wie folgt hergestellt: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der (EAO) definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.“

Der Text der alten Fassung des § 7 Abs. 4a SGB II: „(4a) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.“

Der Grund für meine Zweifel der Anwendbarkeit des Rechts von 2006 in Verbindung mit der EAO: “

„Mit Bescheid vom 19.06.2012 wurden der Klägerin bzw. ihrer Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 01.07.2012 bis 31.12.2012 vorläufig und unter dem Vorbehalt einer späteren endgültigen Festsetzung Leistungen in Höhe von 185,87 EUR monatlich bewilligt.

Am 06.07.2012 beantragte sie die Zustimmung zu einer Ortsabwesenheit“

Alles Termine, die nach dem 01.04.2012 (Geltung des neuen § 7 Abs. 4a SGB II) liegen. Hat sich das LSG NRW auch hier vertan?

Hinterlasse einen Kommentar